Der während der Corona-Krise stets geöffnete Lebensmittelhandel sollte sich gegen eine weitere, eventuell he!iger grassierende Infektionswelle absichern, so die POS-Gestalter von Jos de Vries. Über kurzfristige Maßnahmen wie Abstandsgebot und Maskenpflicht hinaus offerieren die niederländischen Store- Designer Jos de Vries der Branche diverse Ideen und Konzepte für den Ernstfall. Das Spektrum spannt sich von preisgünstigen Maßnahmen wie obligatorisch zu nutzende Einkaufswagen über festgelegte Laufwege am POS und neu organisierte Bedientheken bis hin zur Installation von Selfscanning-Kassen inklusive ausschließlich bargeldloser Bezahlung.

Herr Gaber, Jos de Vries konzipiert für den Handel Konzepte für einen 'virusgeschützten Store'. Reichen Abstandsgebot und Maskenpflicht nicht aus?
Grundsätzlich reichen Maskenpflicht und Abstandsgebot aus. Zusätzliche Maßnahmen sollen für Shopper wie auch Händler auf längere Sicht Erleichterungen bringen. So hat sich in der Schweiz und Österreich gezeigt, dass Kunden nach Wegfall der Maskenpflicht rasch weniger aufmerksam werden. Durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen könnte die 'Awareness' über einen längeren Zeitraum stabil gehalten werden.

Welche Maßnahmen gegen Infektionsrisiken beim Shoppen lassen sich denn mit relativ wenig Investitionsaufwand umsetzen – speziell im LEH?
Den geringsten Aufwand erfordern sicherlich klassische Hygienevorkehrungen. Notwendiger Abstand zwischen Kunden lässt sich beispielsweise durch obligatorische Benutzung eines Einkaufswagens herbeiführen – vorausgesetzt, dass Kunden dies auch akzeptieren.

Jos de Vries schlägt dem Handel auch Zeitkorridore zur Steuerung der Kundenfrequenz vor. Gibt es bereits praktische Erfahrungen damit?
Ikea hat das im April nach Eröffnung des Marktes in Taipa/Macao erprobt. Das hatte Wartezeiten von bis zu zwei Wochen zur Folge. Für den europäischen LEH ist das beim gegenwärtigen Verlauf der Pandemie natürlich keine Option. Allerdings besteht zum Beispiel die Möglichkeit, über Google Maps Stoßzeiten online darzustellen. Damit ließe sich gegebenenfalls die Kundenfrequenz in einzelnen Märkten durchaus besser steuern.

Wenn es im Ernstfall – etwa beim Eintreten einer zweiten Infektionswelle – zu Zugangsbeschränkungen im Handel käme, müssten Wartezonen eingerichtet werden. Das erfordert entsprechende Flächen, auf denen obendrein das Abstandsgebot gilt...
Wartezonen sind auf keinen Fall optimal, da der Kunde dann zweimal aufgehalten würde – vor dem Zutritt zur Verkaufsfläche und obendrein auch am Checkout. Wir arbeiten bereits seit Längerem daran, den Kassenbereich als 'Relax-Zone' zu entwickeln. Gegebenenfalls müssten Händler auch Eingangsbereiche attraktiv und interessant zu gestalten. Auch hier gibt es Potenzial, Shopper mehr zu unterhalten.

Ein weiteres Ihrer Konzepte gegen Infektionsrisiken sind vorgeschriebene Laufwege beim Einkaufen. Ist das akzeptabel für Shopper, für die es selbstverständlich ist, sich am POS frei zu bewegen?
Man kann solche One-Way-Routes durchaus so gestalten, dass Kunden nicht das Gefühl haben, gegängelt zu werden. Wir haben dafür bereits praktikable Lösungen entwickelt.

 

Wie lassen sich im Fall einer zweiten Corona-Welle Schnittstellen zum Marktpersonal wie beispielsweise Bedientheken optimieren?
Man kann sich das ähnlich wie bei Starbucks vorstellen: Auf einer Seite der Theke nehmen Mitarbeiter Bestellungen entgegen, die dann vorbereitet werden. Die Kunden müssen derweil nicht warten. Sie können im Markt weiter einkaufen und Ihre Bestellung auf einer anderen Seite der Theke abholen.

Müssten dafür nicht neue, deutlich mehr raumgreifende Theken installiert werden?
Nein, überhaupt nicht – man kann dies mit bestehenden Möbel umsetzen. Was angepasst werden muss, ist der Ablauf von Prozessen, nicht die Ladeneinrichtung.

Wie kann der Handel – abgesehen von Trennscheiben – seine Kassenzonen im Krisenfall optimieren?
Trennscheiben-Lösungen sind funktional, sie bedürfen allenfalls ein paar technischer Verbesserungen. Grundsätzlich wird Covid-19 aber das Vordringen von Selfscanning sowie Scan & Go beschleunigen. Weil Shopper verstärkt zum einen auf elektronisches Bezahlen umsteigen und zum anderen persönliche Kontakte an der Kasse vermeiden. Wir gehen davon aus, dass schon in naher Zukun" die Kassenabwicklungsmöglichkeiten in sieben von zehn Fällen so laufen werden.

Wie können Händler Infektionsrisiken darüber hinaus weiter eindämmen?
Wir meinen, Händler sollten hier in Szenarien denken. Man muss immer wieder mit unterschiedlichen Anforderungen rechnen. In Deutschland gab es nach dem Höhepunkt der ersten Infektionswelle diverse Lockerungen, doch dann mussten Gütersloh und Warendorf plötzlich wieder 'zugemacht' werden. Jos de Vries hat flexible Modele in Vorbereitung, die man je nach Bedarf einsetzen könnte.

Führen Sie darüber aktuell Gespräche mit namhaften FMCG-Händlern?
Uns liegen diverse Anfragen aus verschiedenen Regionen vor. In Asien etwa zeigt sich die Branche sehr sensibel, da man sich dort aktuell bereits teilweise in der zweiten Welle befindet. Man nimmt das Thema also sehr ernst und geht von einer längerfristig anhaltenden Herausforderung aus. In Europa hat der Handel rasch reagiert und kurzfristige Lösungen gefunden. Es wird allerdings spekuliert, dass langfristige Lösungen nicht notwendig werden. Wir würden uns das natürlich alle wünschen, allerdings sollte man doch an alternative Szenarien denken. Wir haben eigene Programme entwickelt, solche Szenarien zu betrachten und zu bewerten.

Quelle: LebensmittelZeitung